Das Glas der Vernunft

Der Preis der Kasseler Bürgerschaft

Das Glas der Vernunft“ wurde im Jahre 1990 von Bürger:innen der Stadt Kassel und der Region gestiftet. Anlass war die Öffnung des Eisernen Vorhanges“ am 9. November 1989 nach den Bürger:innenprotesten in der DDR im Herbst 1989. Daraus resultierten der Einigungsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1990 und der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990. Damit rückte die Stadt Kassel aus ihrer geographischen Randlage an der Ostgrenze der damaligen Bundesrepublik wieder in die Mitte unseres Landes. Mit dem Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ wollen die Bürger der Region Kassel nicht nur an die Aufhebung der Teilung Deutschlands erinnern, sondern zugleich bewusst machen, dass mit Vernunft und Toleranz ideologische wie religiöse und politische Schranken überwunden werden können. Daher wird der Preis jährlich an Personen oder Institutionen vergeben, die mit ihrem Wirken den Idealen der Aufklärung – Überwindung ideologischer Schranken, Vernunft und Toleranz gegenüber Andersdenkenden – in besonderer Weise dienen. Damit soll bewusst gemacht werden, was der Einzelne bewirken kann. Der Preis besteht aus einer Urkunde, einer von dem Kasseler Kunstprofessor und documenta- Künstler K.O. Blase entworfenen Skulptur mit einem Prisma (dem analytischen Glas der Aufklärung) und einem Geldpreis von 20.000 EURO. Die Finanzierung des Preises sowie der Veranstaltung zur Preisverleihung erfolgt ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden von Bürger:innen der Stadt und der Region Kassel. Die Preisverleihung steht jeweils im zeitlichen Zusammenhang zum Tag der Wiedervereinigung Deutschlands, dem 3. Oktober.

Der erste Preisträger war 1991 der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher; er wurde für seine Verdienste um die Öffnung des „Eisernen Vorhanges“ geehrt. 2010 wurde der chinesische Dissident und Künstler Ai Weiwei ausgezeichnet, der mit den Mitteln der Kunst Kritik am politischen System seines Staates geübt hat. 2011 erhielt diesen Preis der Choreograph Royston Maldoom, da er benachteiligten Menschen in aller Welt durch gemeinsamen Tanz Lebensgefühl und Selbstbewusstsein vermittelt. 2012 wurde die indische Wissenschaftlerin und Teilnehmerin der documenta 13 Vandana Shiva für ihr Engagement in den Bereichen Umweltschutz, biologische Vielfalt und Frauenrechte ausgezeichnet. 2013 wurde der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas geehrt; mit dem Preis wurden sein Engagement für den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Zukunft und die Gestaltung einer kosmopolitisch orientierten Weltgesellschaft gewürdigt. Der 24. Preisträger war 2014 der ungarische Politikwissenschaftler Ferenc Köszeg; er wurde für sein unerschrockenes Eintreten für Menschen- und Flüchtlingsrechte, Gedanken- und Religionsfreiheit sowie für den Schutz von Minderheiten geehrt. 2015 hat der israelische Diplomat, Friedensaktivist und Publizist Avi Primor den Preis erhalten. 2016 haben Vorstand und Kuratorium der Gesellschaft der Freunde und Förderer dieses Preises Edward Snowden als 26. Preisträger gewählt. 2017 wurde der Preis an die deutsche Sektion von „Ärzte ohne Grenzen“ verliehen. 2018 wurde der peruanische Landwirt Saúl Luciano Lliuya als 28. Preisträger gewählt. 2019 erhielt die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie den Preis. Die 30. Preisverleihung des Kasseler Bürger*innenpreises „Das Glas der Vernunft“ an „Reporter ohne Grenzen“ fand am 3. Oktober 2021 statt. Weitere Preisträgerinnen waren 2022 die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und 2023 die Korrespondentin und Moderatorin Natalie Amiri.

Foto Carolin Emcke: Andreas Labes